„Liebe gebiert Liebe.“ Ein Interview mit Oksana Wassylivna Herasymtschuk – einer Frau, die nicht zerbrochen ist.
Sie hat ihre Tochter verloren, während des Krieges einen Online-Kindergarten gegründet und das Sozialschutzzentrum übernommen. In ihrem Leben gab es alles – Schmerz, Dunkelheit, Verzweiflung und ein Wunder. Doch das Wichtigste, was geblieben ist – ist die Liebe. Und genau sie verwandelt den Verlust in Stärke. Darüber berichtet Upmp.news unter Berufung auf den Blog der Autorin, Freiwilligen, Journalistin, Bloggerin und Aktivistin Ljudmyla Pedotschenko.
Oksana Wassylivna ist die Leiterin des territorialen Sozialschutzzentrums der Gemeinde in der Stadt Obuchiw. Zuvor war sie Krankenschwester, Erzieherin und Pädagogin.
Sie gehört zu jenen ukrainischen Frauen, die der Krieg noch stärker gemacht hat: Anstatt sich in ihrem eigenen Schmerz zu verschließen, hat sie einen Raum für andere geschaffen – für Kinder, für ältere Menschen, für Veteranen, für Frauen, die ihre Angehörigen verloren haben.
Dieses Interview handelt nicht nur von ihr. Es handelt von vielen ukrainischen Frauen, die lernen, die Welt zu halten, während sie ins Wanken gerät.
Und für die polnischen Leser ist dieses Gespräch eine Gelegenheit, die Stimme der Ukraine zu hören – eine Stimme, die nicht schreit, sondern ruhig und würdevoll sagt: Wir leben, wir halten durch, wir sind dankbar.

Wie würden Sie sich heute in ein paar Worten beschreiben?
— Ich treffe Entscheidungen leicht und höre immer auf mein Herz. Manchmal ist das nicht besonders gut, aber ich kann nicht anders. Für mich ist es wichtig zu fühlen – mich selbst, die Menschen, das Leben. Ich liebe das Leben und schätze jeden, der neben mir ist. Denn ich glaube: Zufälle gibt es nicht.
Was war in Ihrem Leben Ihre erste Berufung – zu helfen oder zu lehren?
— Zu helfen. Schon als Kind kaufte ich mir von meinem Taschengeld Jodlösung, um streunende Kätzchen zu behandeln. Schon damals reifte in mir das Bedürfnis, bei denen zu sein, die leiden.
Sie haben als Medizinerin begonnen. Wie kam es dazu, dass Sie im Bildungswesen und später im Sozialwesen gelandet sind?
— Schon als Kind träumte ich davon, Hebamme zu werden. Obwohl ich ein kränkliches Kind war und oft im Krankenhaus lag, erschienen mir die Krankenschwestern als leuchtende, fast zauberhafte Frauen. Sie schenkten Ruhe und Hoffnung – und da beschloss ich: Wenn ich groß bin, werde ich auch eine von ihnen. Deshalb zog ich nach der Schule keine andere Möglichkeit in Betracht.
Ich arbeitete in einer Entbindungsklinik, auf der Neugeborenen-Intensivstation. In die Bildung kam ich dank meiner Kinder – meines Sohnes Mychajlo und meiner Tochter Polina. Es war eine Entscheidung, die mich vor Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung nach dem Verlust bewahrte.
Meine Tochter war ein Kind mit schweren Entwicklungsstörungen, und zehn Jahre lang pflegte ich sie zu Hause. Aber als mein Sohn fünf Jahre alt wurde, fiel ich in eine tiefe Depression. Dann bestand mein Mann darauf, dass ich wieder arbeiten gehe – wenigstens für ein paar Stunden. Ich kam in den Kindergarten „Dudaryk“, um mich als Krankenschwester zu bewerben, aber man nahm mich nicht. Stattdessen überzeugte man mich, es als Erzieherin in der Krippengruppe zu versuchen.
Ein halbes Jahr später starb meine Polina. Und ich blieb im Vorschulbereich – nicht für ein paar Stunden, sondern für fünfzehn Jahre.
Ich war Erzieherin, und im Jahr 2020 übernahm ich die Leitung der Kindertagesstätte „Ruschnytschok“.
In den sozialen Bereich kam ich durch meinen unerfüllten Traum – ein Tageszentrum für junge Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und Behinderungen zu schaffen. Denn ich weiß, wie wichtig es ist, einen Raum zu haben, in dem man akzeptiert, verstanden und unterstützt wird. Ich glaube: Jede Gemeinde sollte einen solchen Ort haben – für jene, die mit ihrem Schmerz allein geblieben sind.

Welcher Moment wurde zum Wendepunkt in Ihrem Leben?
— Der Tod meines Kindes. Doch genau dieser Verlust hat mich gelehrt, nicht vor dem Schmerz anderer davonzulaufen. Denn damals haben mich meine Familie, Kolleginnen und sogar Fremde gerettet. Und ich beschloss: Ich muss der Welt auf dieselbe Weise etwas zurückgeben.
Was bedeutet für Sie das Wort „Inklusion“ im echten Leben, nicht in Dokumenten?
— Für mich ist Inklusion nicht nur ein Wort. Es geht ganz sicher nicht um eine Rampe, eine Audio-Bewertung oder Gebärdensprachdolmetschen.
Inklusion bedeutet Gleichheit, gegenseitigen Respekt und vollständige Akzeptanz von Unterschieden. Denn wir alle sind völlig verschieden – und genau darin liegt die wahre Schönheit unserer Welt.
Wie bringen Sie Ihren Mitarbeitenden und Erzieherinnen bei, jeden Menschen mit Liebe und nicht mit Mitleid zu betrachten?
— Ich habe im Leben das Glück, von Menschen mit offenen, vollen Herzen umgeben zu sein. Sie scheinen von selbst zu mir zu kommen.
Ich bin überzeugt: Ein Mensch teilt mit anderen das, womit er innerlich erfüllt ist.
Ich liebe das Leben, Kinder, meine Arbeit, die Natur um mich herum, Musik, Bücher – und mich selbst: nicht perfekt, nicht vorbildlich, aber echt.
Man muss mich nicht bemitleiden. Ich respektiere jede meiner Entscheidungen und all meine Gefühle.
Liebe gebiert Liebe. Und das ist wunderschön.

Wie haben Sie den 24. Februar erlebt?
— Zu Hause. Zuerst konnte ich einfach nicht glauben, dass es wirklich passiert war. Ich rief meine Familie an – meine Mutter weinte und bat mich zu kommen. Ich stand am Fenster, schaute auf die endlose Kolonne von Autos, die über die Kiewer Straße fuhren, und spürte plötzlich: Ich muss bleiben.
Mein Mann, mein Sohn, unser Hund und ich packten schnell unsere Sachen und Dokumente – und fuhren nicht nach Hause, sondern in den Kindergarten „Ruschnytschok“. Dort lebten wir zwei Wochen lang: Wir kochten für unsere Soldaten, nahmen Geflüchtete auf und waren einfach bei den Menschen, die Angst hatten.
Später wurde mir klar, dass diese Entscheidung unser Leben gerettet hat. Denn diejenigen, die an diesem Tag über die Schytomyr- oder Warschauer Straße fuhren, kehrten nicht mehr zurück.
Woher nahmen Sie die Kraft, nicht nur durchzuhalten, sondern auch einen Online-Kindergarten und eine Freiwilligenbewegung zu gründen?
— Der Online-Kindergarten „Obuchiw“ entstand aus der Idee, trotz Hindernissen, Entfernungen und Grenzen zusammenzubleiben. In dieser Zeit war es besonders wichtig, die Kinder zu unterstützen, für die die ersten Monate des Krieges am schwierigsten waren. Wir wollten, dass sie wieder Freude und Sicherheit spüren – wenn auch nur über den Bildschirm.
Unsere erste Sendung fand bereits am 19. März 2022 statt. Es gelang uns, die Erzieherinnen aller Kindergärten der Gemeinde zusammenzubringen, Studierende und Dozentinnen der Staatlichen Universität Schytomyr Iwan Franko einzubeziehen sowie viele engagierte Menschen. Wir erstellten einen vollständigen Stundenplan – mit Musik, Sprachentwicklung, Mathematik, Kreativität und Sport.
Mit der Zeit hatten wir rund 1.500 Abonnenten. Man sah uns nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Europa und sogar in den Vereinigten Staaten. Es war eine unglaubliche, starke Teamerfahrung – ein Beweis dafür, dass Liebe und Unterstützung jede Entfernung überwinden können.
Und aus diesem Online-Projekt wuchs ganz natürlich unsere Freiwilligenbewegung. Wir unterstützten einander, halfen unseren Soldaten und taten einfach alles, was wir konnten. Denn zu handeln – bedeutete, keine Angst zu haben.


Erinnern Sie sich an den ersten Tag, an dem Sie mit Ihren Kolleginnen Schützengrabenkerzen gemacht haben?
— Ja, ich erinnere mich sehr gut daran. Es war der 25. Oktober 2022 – der Tag des ersten massiven Raketenangriffs auf die Region Kiew.
An diesem Tag kamen wir alle in den Kindergarten „Ruschnytschok“. Fast das gesamte Team. Niemand konnte zu Hause bleiben. Und als wir begannen, Schützengrabenkerzen zu machen, wurde das für uns zu etwas Größerem als nur Hilfe für die Front.
Diese Tätigkeit wurde zu einer Art Therapie gegen die Angst. Jede Kerze war wie ein Gebet, eine Handlung statt Hilflosigkeit. Wir schwiegen, arbeiteten, hörten die Explosionen – und hielten zusammen.
Warum, glauben Sie, sind gerade Frauen zu einem der tragenden Pfeiler der Heimatfront geworden?
— Weil die Frau von ihrer göttlichen Natur her für Ausdauer und Geduld geschaffen ist.
Die Stärke einer Frau liegt in ihrer Fähigkeit, sich zu beugen, aber nicht zu brechen. In ihrer Fähigkeit zu stützen, zu führen, gleichzeitig schwach und unerschütterlich zu sein.
Das ist eine Stärke, die nicht aus Panzerung entsteht, sondern aus Liebe.
Gibt es eine Geschichte, die Sie bis heute nicht vergessen können – über Familien von Soldaten, Kinder oder Mütter von Helden?
— Es gibt viele solcher Geschichten. Aber an eine erinnere ich mich immer.
Meine Bekannte, Lilia Tarasenko, erzählte mir, dass die Geburt ihrer Zwillinge ihren Mann und seine Kameraden vor dem sicheren Tod rettete. Sie sollten zu einem Einsatz aufbrechen, blieben aber wegen der Geburt zu Hause.
Und solcher Geschichten gibt es unzählige. Alle beweisen sie eines: Im Leben gibt es immer Platz für ein Wunder.



Wie haben Sie das Sozialzentrum in den ersten Tagen Ihrer Arbeit erlebt?
— Als ich zum ersten Mal dorthin kam, war es ein düsterer, kalter Ort – ein Raum ohne Seele, ohne Gefühle.
Leere Wände, Stille, als wäre die Luft eingefroren. Und ich verstand: Man muss mit Farbe und Licht beginnen.
Das Erste, was ich tat, war, die Wände bunt zu bemalen. Und auf eine schrieb ich ein großes Wort: „Werte“.
So kehrte Leben in diesen Raum zurück.
Welche Veränderungen konnten Sie bereits umsetzen?
— Ich halte mich immer an die Regel der „kleinen Schritte“. Sie führen zu großen Veränderungen.
Bisher ist es mir gelungen, die Universität des Dritten Alters wiederzubeleben, die Sanitärräume und Duschen im Seniorenheim im Dorf Hermaniwka zu renovieren und ein mobiles Team für Opfer häuslicher Gewalt einzurichten.
Außerdem wurde ein Reintegrationsprogramm für unsere Verteidigerinnen, Verteidiger und ihre Familienmitglieder geschaffen.


Erzählen Sie uns vom „Sozialtaxi“ – wie funktioniert es und wem hilft es?
— Das Sozialtaxi bietet mobilitätseingeschränkten Bewohnerinnen und Bewohnern unserer Gemeinde die Möglichkeit, wichtige soziale Einrichtungen zu erreichen: Krankenhäuser, Verwaltungszentren, das Rathaus, die Rentenversicherung und andere.
Dazu muss man sich nur im Voraus an unseren Sozialmanager wenden und die gewünschte Route mitteilen.
Der Service ist für Menschen mit einer Behinderung der Gruppe I kostenlos, für andere Kategorien beträgt der Preis 175 Hrywnja pro Stunde.
Das Fahrzeug ist vollständig barrierefrei und nach allen Anforderungen der Zugänglichkeit ausgestattet – darauf sind wir sehr stolz.

Haben Sie ein Lieblingsbeispiel, bei dem das Zentrum das Leben eines Menschen wirklich verändert hat?
— Eines Montags, während ich die Bewohnerinnen unserer stationären Pflegeabteilung besuchte, hörte ich von einer älteren Dame Worte, die ich nie vergessen werde:
„Ich möchte allen danken, die dafür gesorgt haben, dass ich meine letzten Tage würdevoll und mit Respekt leben darf.“
Es war schmerzhaft, aber zugleich sehr bedeutend. Solche Momente erinnern uns daran, warum wir unsere Arbeit tun.


Welche Programme gibt es derzeit für Veteranen und die Familien der Gefallenen?
— In unserer Gemeinde läuft eines der stärksten Sozialprogramme – „Fürsorge“.
Es umfasst Mobilisierte, Veteranen, aktive Soldatinnen und Soldaten sowie die Familien der Gefallenen.
Ebenfalls bestehen Programme der medizinischen Absicherung, von denen unsere Verteidigerinnen und Verteidiger profitieren.
Wir haben außerdem ein Reintegrationsprogramm eingeführt – es zielt auf Unterstützung, psychologische Hilfe, familiären Austausch und den Wiederaufbau von Vertrauen ab.
Wie reagiert die Gemeinde auf Aktionen, die den gefallenen Verteidigern gewidmet sind?
— Unsere Gemeinde lernt, mit dem Schmerz zu leben, und schafft zugleich eigene Formen, die gefallenen Helden zu ehren.
Wenn ein Verteidiger auf dem Schild heimgebracht wird – hält die ganze Stadt an und geht auf die Knie.
Jeden Monat führen wir Gedenkaktionen in der Allee der Helden durch.
Und die Kinder im Kindergarten legen, wenn sie die Hymne hören, ihre kleine Hand aufs Herz.
So entsteht eine Gewohnheit, die Würde formt – fürs ganze Leben.

Was, glauben Sie, brauchen die Familien der Soldaten heute am meisten – Geld, Aufmerksamkeit oder einfach menschliche Wärme?
— Manchmal braucht es sehr wenig – einfach nur da zu sein.
Die Hand zu halten, zuzuhören, zu umarmen.
Der Wert solcher einfachen Gesten ist grenzenlos.
Wie arbeitet das Sozialzentrum im Bereich psychologischer Unterstützung?
— Schon jetzt führen wir individuelle psychologische Sitzungen für die Ehefrauen unserer Verteidiger, die Familien der Gefallenen und der Vermissten durch.
Unsere Psychologinnen und Psychologen arbeiten auch mit akuten Zuständen, wenn Hilfe sofort nötig ist.
Wir träumen davon, ein Projekt für die Familien der Vermissten zu verwirklichen – mit Gruppentherapie und Stickkursen. Das hilft den Menschen, ihren Schmerz durch Kreativität auszudrücken und inneren Frieden zu finden.
Wie sehen Sie die Ukraine nach dem Sieg?
— Ich sehe die Ukraine nach dem Sieg als stark, geeint und solidarisch.
Und außerdem – als bewusst und wirklich unabhängig.
Was hilft Ihnen, in schwierigen Momenten den Glauben zu bewahren?
— Mein Glaube wird getragen von einem großen Wunsch – das Ende des Krieges zu erleben und meine Enkelkinder zu sehen.
Was sind Ihre persönlichen Träume – nicht als Leiterin, sondern als Frau?
— Ich träume von einer Reise nach Japan.
Das ist ein Kindheitstraum, der in mir schon viele Jahre lebt.
Ein Land der Harmonie, der Schönheit und des Gleichgewichts – genau das, was wir alle so sehr brauchen.

Wenn Sie sich an die polnischen Leser wenden könnten – was würden Sie heute über die Ukrainer sagen?
— Wir dürfen anderen nicht erlauben, uns vorzuschreiben, wer wir sind.
Ukrainer und Polen sind sich im Geist und in ihren Überzeugungen so nahe, dass wir uns Brüder nennen sollten.
Eure Unterstützung für unsere Bürger in den ersten Wochen des Krieges ist all die Worte des Dankes dieser Welt wert.
Wir sind gemeinsam. Und wenn wir gemeinsam sind – sind wir stark.
Das Material wurde für die ukrainisch-polnische Medienplattform „upmp.news“ im Rahmen der Serie „Frauen, die die Heimat halten“ vorbereitet.